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M i MAs Kladden: Neulich in meinem Leben... was bisher geschah (von Juliane von der Wense)

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M i MAs Kladden: Neulich in meinem Leben... was bisher geschah (von Juliane von der Wense), Stade, Märzwerk
Immer wieder werde ich gefragt, was ich am Bloggen besonders mag. Meine Antwort lautet immer gleich: Unter anderen dass ich vielen wunderbaren Menschen begegne, schöne Bekanntschaften mache (aus denen sich manchmal tiefe Freundschaften entwickeln) oder verloren geglaubte alte Bekannte wieder finde. So in diesem Fall. Juliane und ich haben unsere Beraterlaufbahn vor vielen Jahren in der selben Firma begonnen. Von zwei verschiedenen Standorten aus arbeiteten wir am selben Projekt und lernten uns auf diese Weise nicht nur kennen, sondern schätzen. So hielten wir denn auch noch Kontakt, nachdem Juliane das Unternehmen verlassen hatte. Doch irgendwann verlor sich unsere Spur. 

Wir hatten schon mehrere Jahre nichts mehr voneinander gehört, als ich vor wenigen Wochen eine Mail in meinem Postfach fand. Auf der Suche nach Tipps und Anregungen zum Thema Hausbau war Juliane auf meinen Blog gestoßen... Nach einem intensiven Schriftverkehr, der mich wieder daran erinnerte, was ich besonders an Juliane schätzte – ihren (Wort-)Witz – stand am Ende eine Idee: die Kolumne 'Neulich in meinem Leben'. Ab nächste Woche wird sie jeweils zur Monatsmitte einen Schwank aus ihrem Leben zum Besten geben. Damit ihr wisst, wer und was auf euch zukommt, dreht sich die heutige 'Kladde' um Juliane von der Wense, und anders als bisher stammt diese 'Lebensskizze' nicht aus meiner, sondern aus ihrer Feder. 

Eine vergnügliche Lektüre wünschen euch
Indre & Juliane
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M i MAs Kladden: Neulich in meinem Leben... was bisher geschah (von Juliane von der Wense), Stade, Märzwerk


Neulich in meinem Leben... was bisher geschah 
von Juliane von der Wense

1. Zauber ferner Kindertage
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Geboren wurde ich im März 1974 im Rheinland. In Remagen, um genau zu sein. Als Sonntagskindchen. Die Stadt kenne ich bis heute nicht. Ich wurde einfach nur dort geboren. Drei Tage später befand ich mich schon in der Pfalz, wo meine Eltern lebten. Dort wuchs ich als Kind eines halben Niedersachsen und einer Westfälin auf. Nach zwei Jahren tat ich dies zusammen mit meiner jüngeren Schwester Dorothee. Meine Kindheit war schön. Sonnig, satt und golden. Jedenfalls bis zu jenem Tag, von dem an ich in die Schule musste. Zwar lernte ich das ABC bald als rauschendes Meer munterer Kombinationsmöglichkeiten lieben. Doch zu meinem persönlichen Elend kamen die Buchstaben in Begleitung der Zahlen. Meine Faszination für eben diese hält sich nach wie vor in Grenzen – vielleicht weil sie begrenzen?! Da lobe ich mir doch meine Buchstaben. Sie paaren sich zu Worten, die Sätze formen, die Texte werden, die Welten hervorbringen. Und was kann die Zahl?

An den Zahlen aber führte kein Weg vorbei und so begann ich die Jahre zu zählen, bis der Spuk ein Ende hatte (für den Zahlenraum von 1 bis 13 reichten meine Kenntnisse). Unnötig zu erwähnen, dass in dem Wort zählen bereits die Zustandsbeschreibung meiner Schulzeit steckt: ZÄH. Irgendwann aber tatsächlich vorbei. Und ausklammern lässt sie sich auch.

Rückblickend überwiegt der Zauber ferner Kindertage. Diese nicht enden wollenden Sommer wohliger Erschöpfung nach schweren schwülen, flimmernd heißen Tagen. Die geringelten Frottierbuchsen, mit denen wir durch den Rasensprenger fegten und uns in Herbies Planschbecken verlustierten. Die Ausflüge ins örtliche Freibad, die mit einem Dolomiti oder einer weißen Maus feierlich beschlossen wurden. Die Kirschen an den Ohren und die roh geknackten Spaghetti in Reimars Sandkiste. Die Disco-Roller- und Skateboard-Touren durch Mandelring und Kastanienweg mit Sveni, Larsi, Arne, Annette und Iris. Die Flöten- und Klaviervorspiele, die Räuber-und-Gendarme-Spiele im angrenzenden Wäldchen, in dem ich wenigstens einmal meine Schwester vergessen hatte, was mir nur auf- und einfiel, weil ich das Springseil vermisste, mit dem ich den Wildfang an einen Baum gebunden hatte... Die Ausflüge zum Weiher, der Regenguss im Tomatensalat und das Quartier unter einem umgedrehten Schlauchboot. Die ersten Weinfeste, auf denen wir die Nacht zum Tag machten und völlige Narrenfreiheit genießen durften. Svenis ausufernder Vortrag darüber, warum man „Scheiße“ und „Arschloch“ nicht sagen dürfe und die lustvolle Häufigkeit, mit der sie eben diese Worte aussprach. Der Eismann, der im Sommer klingelnd durch die Straßen fuhr, und bei dem wir uns, wenn wir „ganz lieb“ waren, ein Bacci kaufen durften. Ein aus zwei Kugeln Stracciatella-Eis und mit Schokolade überzogenes Vergnügen, das vermutlich den Grundstein zu meiner heutigen Linie (die inzwischen auch mehr einem Balken gleicht) legte.

Und diese Winter. Die weiße Stille der Landschaft, in die wir uns hineinschmissen und mit Armen und Beinen Engel in den knirschenden Untergrund malten. Reimar und ich bauten Schneemänner um die Wette, bis sich seine irgendwann zu Schneefrauen wandelten. Das war wohl das äußere Zeichen unseres Heranwachsens. Die Sommer wurden kürzer, die Winter auch.
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M i MAs Kladden: Neulich in meinem Leben... was bisher geschah (von Juliane von der Wense), Stade, Märzwerk


2. Der rote Faden
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Seither rast die Zeit. Oder hat sie mich einfach nur abgehängt, weil ich es nicht mehr vermag, im Augenblick zu sein? So ganz und gar versonnen und versunken im Moment. Manchmal gelingt es noch. Aber es scheint mir weniger intuitiv. Ich muss mich gewissermaßen durch etwas dazu bringen. Durch Basteln oder Werkeln etwa. Nur muss ich mir dafür eben Zeit vorhalten. Mich freischaufeln, um mir diese Freiräume zu ermöglichen. Das nimmt den Momenten dann doch etwas von dieser zauberhaften Beiläufigkeit.

Zuletzt habe ich das, wenn auch auf anderer Ebene, im Studium empfunden. Meine Studienzeit war gewissermaßen das, was man in der Kunstgeschichte ein Gesamtkunstwerk nennt. Nicht, dass ich meine schöpferische Kraft für so unbescheiden gelungen hielte. Ich meine damit vielmehr, dass alles was ich tat, aus mir entsprang, zu mir zurückkam und immerzu mit mir zu tun hatte. Durch all mein Tun zog sich dieser berühmte rote Faden, der irgendwann verblasst. Mein Studium war mein Leben und mein Leben mein Studium: Philosophie und Kunstgeschichte, Englische Literatur und Allgemeine Sprachwissenschaft in Münster und Würzburg mit kurzen Ausflügen ins Schwedische und Italienische in München, Cambridge, London und Berlin.

Ich war frei und doch ganz und gar geborgen. Fühlte mich unanfechtbar und glaubte, mir könnte kein Übel widerfahren. Und überfiel mich einstweilen ein Zweifel, so tauchte ich immer mal in die überschaubaren Ländlichkeit meiner Heimatstadt ab und genoss die Sorglosigkeit, die mir die Zuversicht und das Vertrauen meiner Eltern vermittelten. So hätte es ewig weitergehen können. Doch mit 27 wendete sich das Blatt. Mein Vater starb. Von der Diagnose bis zu seinem Tod verging ein Dreivierteljahr. Das ist die Zeit, in der ein Leben entsteht. Hier verging eines.
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M i MAs Kladden: Neulich in meinem Leben... was bisher geschah (von Juliane von der Wense), Stade, Märzwerk


3. Vor Anker
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Seit fünf Jahren lebe ich (wobei „leben“ hier tatsächlich mentalitätsbedingt ein relativer Begriff ist) in Stade. Grob betrachtet liegt das zwischen Cuxhaven und Hamburg. Fein betrachtet, liegt es am Ende der Welt. Strukturschwäche, Borniertheit und Starrsinn wurden hier erfunden. Einige Ureinwohner behaupten, von hier aus wäre das Lachen in die Welt gezogen. Es wusste, warum es nicht zurückkehrte...!

In Stade landet (oder strandet?!) man nicht aus Überzeugung. Mein Mann kam aus beruflichen Gründen. Ich kam seinetwegen. Die Standortfrage stellte sich bei uns nicht. Er unterhält eine Praxis und ich brauche nur einen Schreibtisch. Hätte es eine Wahl gegeben, hätte ich meinen Mann für Münster oder Heidelberg begeistern wollen. Mit der Begeisterung hat es geklappt, aber unsere Vernunft wies uns nach Stade. Eine Entscheidung, mit der ich zuweilen hadere, um nicht zu sagen, dass ich in regelmäßigen Abständen eine wahre Standortkrise bekomme. Dann bin ich der Elbe überdrüssig und vermisse die sanften Hügel meiner Heimat, ihre Weitläufigkeit und die Offenheit ihrer Bewohner, die typische Pfälzer Geselligkeit. Dann sehn ich mich nach Münster, wo ich – wie sonst nirgends – so ganz und gar bei mir und meinen sieben Sachen war. Dann brauche ich gutes Wetter und einen Sommer, der sich nicht nur dadurch auszeichnet, dass die Pfützen nicht gefroren sind.

Manchmal fahre ich dann – mit einem Abstecher über Münster – nach Wachenheim. Buddele mir aus dem Garten meiner Mutter Pflanzen aus (die hier regelmäßig eingehen, weil ihnen – wie mir – die Sonne fehlt) und bemühe mich, mir vorzustellen, dass es hier – objektiv betrachtet – ja auch ganz schön ist; oder zumindest sein kann. Es gibt einen Vorortweg nach Stade, der eine gewisse Ähnlichkeit mit dem letzten Straßenstück vor Wachenheim hat. Manchmal fahre ich dort hin und stelle mir vor, es röche nach meiner Heimat. Tue so, als gäbe es hier dieses besondere Licht, das es nur in der Pfalz gibt und das für mich der Inbegriff einer satten Seele, eines ruhigen Herzens ist.
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M i MAs Kladden: Neulich in meinem Leben... was bisher geschah (von Juliane von der Wense), Stade, Märzwerk

4. Das große Glück
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Was mein Herz angeht, habe ich ohnehin sehr großes Glück. In meinem Mann habe ich den geduldigsten und liebenswertesten Menschen des Universums gefunden. Er weiß mich mit meinem Heimweh und meinen – immerhin seit fünf Jahren währenden – Eingewöhnungsschwierigkeiten zu nehmen. Er kann damit umgehen. Und er hat ja recht: Über allem steht die Liebe. Das klingt so doof und kitschig. Aber das ist doch das Wertvollste und Wesentliche im Leben. Dieses unglaublich große und seltene Glück, jemanden gefunden zu haben, mit dem man – selbst in Stade – den Rest seines Lebens verbringen möchte, in dem man ankert und in dessen Herzen man ein Zuhause hat. Das ist doch ein unfassbares Ding, das einem vor lauter Glück und Freude Margeriten aus den Ohren wachsen lässt.

Wenn ich nicht gerade mit Seins- und Sinnkrisen beschäftigt bin, dann gehe ich hier zwischen Geest und Marsch, Altem Land und Tor zur Welt meinem überschaubaren unaufgeregten Leben mit Mann und Hund nach. Kinder haben wir leider keine.

Da die Hoffnung bekanntermaßen zuletzt stirbt (und mir noch der letzte Sargnagel fehlte), bauen wir in Kürze ein Haus. Nun ist uns Väterchen Frost dazwischen gekommen, aber der Plan steht. Getreu der Devise: Willst Du Gott zum Lachen bringen, mach’ einen Plan. Schon deshalb finde ich Pläne und To-Do-Listen so toll. Einen bringen sie immer zum Lachen.


5. Was ich so lieb´und tu´
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Beruflich lasten mich mein Job als PR-Beraterin sowie ein Lehrauftrag für Philosophie und Religionswissenschaft an der Uni Würzburg aus. Meine Freizeit verbringe ich zu großen Teilen – gewissermaßen als kinderloser Quotenkatholik – damit, eine evangelische Schule zu gründen, was mit reichlich Gegenwind verbunden ist. Schließlich könnte das die beschaulich kleinteilige Ordnung des Wir-haben-das-hier-schon-immer-so-gemacht-wir-brauchen-nichts-Neues stören. Wenn ich mir bei derlei Dingen nicht gerade die Haare raufe, vertue ich den Rest der freien Zeit gern mit Yoga, Querflöten, Lesen, Buchstabensortieren, Basteln oder Werkeln. Ich interessiere mich mehr für Architektur und Möbeldesign als für Mode (man muss kein Kenner sein, um das zu sehen) und könnte stundenlang über die optimale Nutzung und Gestaltung von Räumen nachdenken. Ich bin ein Stauraum- und Kleinraumwunder und kann aus Nichts was machen. Aus manchem mache ich mir aber auch gar nicht erst was.

Ich liebe die Melancholie in gleicher Weise wie die unerschrockene Fröhlichkeit, die tief in meinem Innern einen tanzenden Stern nach dem anderen gebärt. Meine Lieblingsfarben sind Grün, Blau und Weiß. Der Wald, der Himmel und die Wolken. Meine Lieblingsautoren sind Peter Stamm, Gregor Hens und Zsuzsa Bánk – in variierender Reihenfolge. Meine Kindheitssommer schmecken nach Holunder-Limetten-Limonade und Erdbeeren auf Mürbteigboden. Meine Kindheitswinter riechen nach Arvenholz und Thymianhonig. Die Sommer klingen nach Bienen und Grillen und dem Rauschen des Atlantiks, die Winter nach Schneeknirschen im Engadin. Durch mein momentanes Leben ziehen in stetem Wechsel die Klänge von E.S.T., Keith Jarrett, Carla Bruni, Kings of Convenience, Benjamin Biolay, Torun Eriksen, Kari Bremnes, Clarice Falcao und natürlich immer auch Fredrika Stahl. DePhazz, Zero7 und Air tragen mich auf meinen Heidelberger Balkon; 29 Palms, Deacon Blue, 1927 und The Triffids und Del Amitri weben den Teppich auf dem ich in meinen Münsteraner Sessel und in die Lateinstunden mit Herrn G., meinem immerzu und in jeglicher Hinsicht zu spät kommenden Latein-Gefährten, fliege. Und ganz selten noch reise ich in Michy Reinckes Taxi nach Paris, häufiger jedoch lande ich in seinem Palais Salam – aber eben nur, wenn er mich nicht ausdrücklich gebeten hat, im Auto zu warten.


6. Aussichten
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Die Frage, was man von mir und meiner Kolumne erwarten kann, ist schwer zu beantworten. Wer nichts erwartet, wird auch nicht enttäuscht. Ich denke, es ist ein Blick hinter die Dinge. Hinter das Vordergründige vielleicht. Vielleicht aber auch einfach nur drauf. Je nach dem, wie die Dinge gerade so liegen. Und wie es sich mit dem Blick und der Ordnung dazugehöriger Buchstaben so verhält.
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M i MAs Kladden: Neulich in meinem Leben... was bisher geschah (von Juliane von der Wense), Stade, Märzwerk


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